Vor allem Einzelhandel, Hotels, Restaurants und Fitnessstudios mit Ausnahme weniger Branchen sind erneut und weiterhin von umfassenden Beschränkungen und Schließungen betroffen. Diese Beschränkungen gelten vorerst vom 16. Dezember 2020 bis zum 10. Januar 2021 (vgl. Ziffern 1, 5, 6, 9 des Beschlusses).
Der Beschluss beabsichtigt vor allem auch, die Position der Mieter und Pächter zu stärken. Ihnen wird die Tür geöffnet für Verhandlungen mit Vermietern und Verpächtern über die Anpassung des Vertrages (etwa Minderung der Miete bzw. Pacht). Der Bechluss macht dies, indem er für staatliche COVID-19 Maßnahmen die Grundsätze der Veränderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zur Anwendung bringt (vgl. Ziffer 15 des Beschlusses).
Noch ist der Beschluss nicht rechtförmig. Er ist Gegenstand eines Gesetzesentwurfes vom 15. Dezember 2020 (BTDrucks 19/25251). Es ist zu erwarten, dass in zahlreichen Fällen Mieter und Pächter den Beschluss zum Anlass nehmen werden, um von Vermietern und Verpächtern die Verhandlungen mit dem Ziel der Vertragsanpassungen zu verlangen. Welche Ansätze es dafür gibt, aber auch, wie diese abgewehrt werden können, wird im Folgenden dargestellt.
Bisherige Gesetzeslage
Bislang schützt das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (BT DruckS 19/18110 vom 24. März 2020) die Mieter und Pächter wie folgt vor Kündigung:
- Mieter und Pächter konnten für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum Ablauf des 30. Juni 2020 die Miete zunächst einbehalten.
- Vermieter und Verpächter dürfen aufgrund dieser Zahlungsrückstände bis zum Ablauf des 30. Juni 2022 nicht kündigen, soweit Mieter oder Pächter glaubhaft machen können, dass der Einbehalt der Miete bzw. Pacht auf der COVID-19-Pandemie beruht.
- Erst wenn Mieter oder Pächter nicht bis zum Ablauf des 30. Juni 2022 die rückständige Miete bzw. Pacht zahlen, entsteht das Kündigungsrecht wieder.
- Weitere Rechte des Vermieters und Verpächters im Zusammenhang mit Zahlungsverzug (insb. Verzugszinsen, Schadensersatz etc.) bleiben unberührt.
Darüber hinaus wurden den Mietern und Pächtern keine weiteren gesetzlichen Rechte eingeräumt. Insbesondere hatten Mieter und Pächter bisher kein gesetzliches Recht zur Minderung der Miete etwa wegen möglicher Gewinneinbußen. Dies entspricht dem Grundsatz, dass Mieter bzw. Pächter grundsätzlich das Risiko der gewinnbringenden Nutzung der Miet- bzw. Pachtsache tragen (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2010, XII ZR 131/08, NJW-RR 2010, 1017 (1018), Rn. 21).
Bisherige Rechtsprechung
Diesen Grundsatz unterstützten zahlreiche gerichtliche Entscheidungen. Die Rechte der Mieter und Pächter im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden restriktiv gehandhabt.
- Die staatlich verordnete Schließung von Einzelhandelsgeschäften wegen der COVID-19-Pandemie ist kein Mangel der Mietsache (§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB) und berechtigt deshalb nicht zur Minderung der Miete (vgl. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 5. Oktober 2020 - 2-15 O 23/20, BeckRS 2020, 26613; LG Heidelberg, Urteil vom 30. Juli 2020 - 5 O 66/20, BeckRS 2020, 19165; LG Zweibrücken, Urteil vom 11. September 2020 - HK O 17/20, BeckRS 2020, 24356).
- Staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie sind kein Grund, von einer Veränderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) auszugehen (LG Frankfurt a.M., Urteil vom 5. Oktober 2020 - 2-15 O 23/20, BeckRS 2020, 26613; LG Stuttgart, Urteil vom 19. November 2020 - 11 O 215/20, BeckRS 2020, 32275; LG Wiesbaden, Urteil vom 5. Oktober 2020, 9 O 852/20, BeckRS 2020, 32449).
- Staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie rechtfertigen nicht eine Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB), da der Mieter grundsätzlich das Verwendungsrisiko der Mietsache trägt, den Mietgegenstand gewinnbringend zu nutzen (vgl. LG Lüneburg, Urteil vom 17. November 2020, 5 O 158/20, Pressemitteilung des LG Lüneburg Nr. 59/2020 vom 26. November 2020).
Geplante Neuregelung
Für Gewerbemiet- und Pachtverträge soll das jetzt anders werden. Der Grundsatz, dass Mieter und Pächter das Risiko der gewinnbringenden Nutzung tragen, soll eingeschränkt werden. Der Beschluss kündigt eine Kehrtwende an, indem er Folgendes formuliert (Ziffer 15):
„Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19 Maßnahmen betroffen sind, wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-) Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Damit werden Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht.“
Der Beschluss bringt die Grundsätze der Veränderung der Geschäftsgrundlage zur Anwendung. Eine Änderung der Geschäftsgrundlage kann den Anspruch auf Anpassung des Vertrages begründen (§ 313 Abs. 1 BGB). Indem der Beschluss die gesetzliche Vermutung einführt, dass staatliche COVID-19 Maßnahmen die Geschäftsgrundlage schwerwiegend ändern, eröffnet er insbesondere den Mietern und Pächtern genau diese Möglichkeit. Mit dem Argument, dass staatliche COVID-19 Beschränkungen die Geschäftsgrundlage schwerwiegend ändern, sollen sie jetzt verlangen können, dass der Miet- oder Pachtvertrag angepasst wird (etwa durch Stundungsvereinbarungen oder Minderung der Miete bzw. Pacht). Damit wird das Verwendungsrisiko für die gewinnbringende Nutzung des Mietgegenstandes verlagert. Dieses sollen nicht mehr allein Mieter oder Pächter tragen, sondern auch Vermieter und Verpächter. Der Weg soll geebnet werden, um individuelle Vertragsanpassungen vereinbaren zu können.
Nach dem Wortlaut des Beschlusses sollen Mieter und Pächter nicht erst dann einen Anspruch auf Vertragsanpassung haben, wenn ihre Existenz bedroht ist, sondern bereits bei erheblichen (Nutzungs-) Beschränkungen.
Der Beschluss lässt offen, was solche erheblichen (Nutzungs-) Beschränkungen sind. Dies wird voraussichtlich eine Betrachtung des Einzelfalles sein und damit zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen, welche erst durch die Rechtsprechung ausgefüllt werden wird.
Gesetzliche Vermutung soll Position der Gewerbemieter und Pächter stärken
Der Beschluss beabsichtigt, die Position der gewerblichen Mieter und Pächter zu stärken. Infolge gesetzlich angeordneter Vermutung soll nämlich davon ausgegangen werden können, dass solche erheblichen (Nutzungs-) Beschränkungen in Folge der COVID-19-Pandemie die Geschäftsgrundlage des Miet- oder Pachtvertrages schwerwiegend ändern. Mieter bzw. Pächter könnten mit diesem Argument einen Anspruch auf Anpassung des Vertrages (etwa Minderung der Miete bzw. Pacht) haben (§ 313 Abs. 1 BGB). Etwas anders würde nur gelten, wenn seinerseits der Vermieter diese Vermutung wiederlegen und nachweisen könnte, dass die (Nutzungs-) Beschränkungen nicht eine Folge der COVID-19-Pandemie sind. Einen solchen Nachweis werden Vermieter und Verpächter kaum führen können, wenn sie nicht Einblicke in die geschäftlichen Grundlagen und die Entscheidung der Mieter bzw. Pächter haben.
Zunahme der Forderungen nach Anpassung des Miet- bzw. Pachtvertrages (Miet-, Pachtminderung) zu erwarten
Es ist davon auszugehen, dass gewerbliche Mieter und Pächter diesen Ansatz nutzen werden, um mit Vermietern und Verpächtern über die Anpassung des Miet- bzw. Pachtvertrages zu verhandeln. Dem könnten Vermieter/Verpächter dann nicht mehr allein entgegensetzen, das Nutzungsrisiko trage der Mieter/Pächter.
Der rechtliche Rahmen für Verhandlungen über ein solches Anpassungsverlangen ist unklar. Insbesondere ist der Beschluss – wie oben beschrieben – noch nicht rechtsförmig (etwa durch Gesetz oder Verordnung) umgesetzt worden. Aber bereits jetzt werden erhebliche Rechtsunsicherheiten deutlich.
- Bereits der Wortlaut des Beschlusses ist widersprüchlich. Es wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-) Beschränkungen […] eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen „können“. Durch die Wahl des Wortes „können“ wird der Vermutung gerade ihre Regelwirkung genommen. Der Regelfall soll nämlich nicht sein, dass erhebliche (Nutzungs-) Beschränkungen stets eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage sind, sondern nur in bestimmten Fällen. Welche Fälle das betrifft, ist nicht geregelt.
- Der Beschluss enthält keine Regelung für den Anwendungszeitraum. Plausibel wäre es, die Anwendbarkeit der Vertragsanpassung (§ 313 BGB) zumindest für den Zeitraum auszuschließen, für welchen das Mietenmoratorium im Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie vorgesehen war (vgl. Argumentation des LG München II, Urteil vom 22. September 2020, 13 O 1657/20, BeckRS 2020, 34250, Rn. 18; Urteil vom 6. Oktober 2020, 13 O 2044/20, BeckRS 2020, 34263, Rn. 22). Die Grundsätze der Veränderung der Geschäftsgrundlage sind schließlich gegenüber gesetzlichen Regelungen nachrangig.
- Auch bleibt abzuwarten, ob die Anwendbarkeit der Grundsätze der Veränderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) erst ab dem 16. Dezember 2020 greifen sollen, oder sie bereits vorherige Sachverhalte erfassen, insbesondere auch bereits anhängige Streitigkeiten.
- Schließlich setzt eine Anpassung des Vertrages (§ 313 Abs. 1 BGB) nicht nur die Veränderung der Geschäftsgrundlage (tatsächliches Element) voraus, sondern auch die Hypothese, dass bei Kenntnis dieser Veränderung die Vertragsparteien den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten (hypothetisches Element). Zu fragen ist bspw., ob die Parteien eines Miet- oder Pachtvertrages mit 10 Jahren Festlaufzeit und 2 mal 5 Jahren Verlängerungsoption, eine Miet- bzw. Pachtminderung für 3 Monate vereinbart hätten, wenn sie gewusst hätten, dass diese 3 Monate Gegenstand eines staatlich angeordneten lock downs werden. Welches Ergebnis eine solche Hypothese hat, kann der Beschluss naturgemäß nicht regeln, sondern hängt von der Interpretation des jeweiligen Vertrages ab.
Ausblick
Infolge der erheblichen Rechtsunsicherheiten steht noch nicht fest, dass der Beschluss sein Ziel, die Position der Mieter und Pächter zu stärken, erreicht. Der Beschluss gibt den Mietern und Pächtern einen Ansatz, mit Vermietern und Verpächtern über Vertragsanpassungen zu verhandeln. Aber die zahlreichen Rechtsunsicherheiten geben Vermietern und Verpächtern Grundlagen, gegen die Anpassungsverlangen zu argumentieren.
Es bleibt die Absicht des Beschlusses, für Mieter und Pächter die Tür zu öffnen für Verhandlungen. Zu erwarten ist auch deshalb, dass die Forderungen von Mietern und Pächtern nach Vertragsanpassung zunehmen werden. Ob und ggfls. wie weit Vermieter und Verpächter sich darauf einlassen, ist Verhandlungstaktik und -geschick im Einzelfall.
Wichtig kann sein, in jedem Fall nur solche Vereinbarungen zu treffen, die in einem schriftformkonformen Nachtrag zum Miet- oder Pachtvertrag festgehalten sind. Insoweit zu vermeiden wären insbesondere schlichte Anschreiben an den Mieter mit Bitte um Gegenzeichnung. Solche bergen das Risiko, das Schriftformgebot (§§ 550, 126 BGB) zu verletzen und zu einer jederzeitigen Kündbarkeit des Mietvertrags zu führen.
In-depth 20-622